Chance vertan
20’016 Menschen in Bern haben am 7. März ein NEIN zum 112-Millionenkredit in die Urne gelegt. Weil sie den Murks am Bubenbergplatz und das Fällen gesunder Bäume im Hirschengraben verhindern wollten. Und weil sie überzeugt sind: Bern kanns besser.
Leider hat es nicht gereicht: 57,6 Prozent der Stimmenden folgten obrigkeitsgläubig, wie das in Bern seit Jahren gang und gäbe ist, den Empfehlungen der Stadtregierung. Schade. Denn gerade bei dieser Vorlage wäre ein Widerspruch dringend notwendig gewesen.
Weder die Zerstörung des Hirschengrabens noch die Untertunnelung des Bubenbergplatzes sind «alternativlos», wie dies von Seiten der Behörden gepredigt wird. Im Gegenteil: Es gibt bessere und nachhaltigere Lösungen, wie in den letzten Wochen von verschiedenen Fachleuten aufgezeigt wurde.
Die Behauptung der Stadtregierung, des Befürworterkomitees sowie gewisser Medienvertreter, ohne Fussgängertunnel würde sich der Verkehr am Bubenbergplatz stauen, war reine Panikmache. Mit der völlig absurden Drohung, Chaos und Unfälle wären vorprogrammiert, wurde Angst wurde geschürt. Zudem scheute man vor persönlichen Diffamierungen der breit abgestützten Gegnerschaft nicht zurück, die mit stichhaltigen Fakten und Argumenten aufzeigen konnte, dass sich die Stadt hinter behaupteten Sachzwängen versteckt. Und nicht alle Karten auf den Tisch legt.
Letztendlich ging es beim Durchpauken des teuren und unnötigen Bau- und Abholzungsprojekts «Baustein 2» einzig und allein darum, die bereitliegenden Gelder aus dem Agglomerationsfonds zu sichern. Jürg Steiner bringt es in seinem BZ-Kommentar auf den Punkt. Er bezeichnet die nun angenommene Vorlage als Antithese eines grossen Wurfs: «Sie gehorcht dem bürokratischen Kompromissgeist, der nötig ist, damit man an die Subventionstöpfe von Bund und Kanton kommt, dank denen das Verkehrspaket die Stadt unter dem Strich nur rund 60 Millionen Franken kosten wird.»

Kann, will – darf sich eine Stadtregierung solche absurden Planspiele leisten? Muss sie es?
Die Antwort darauf lautet klar und deutlich: NEIN!
Das letzte Wort ist zum Glück noch nicht gesprochen. Noch liegt keine Baubewilligung für den «Baustein 2» vor. Die Ablehnung des 112-Millionenkredits wäre ein Befreiungsschlag gewesen, der eine neue, zielführende Planung rasch ermöglicht hätte. Mit Unterstützung der Fachverbände, in Zusammenarbeit mit den SBB. Die Stadtbehörden hätten keine Wahl gehabt und Hand bieten müssen, für die längst fällige Gesamtplanung rund um den Bahnhof der Hauptstadt.
Mit dem Ja am 7. März wurde diese Chance vertan. Trotzdem muss diese Gesamtplanung an die Hand genommen werden, daran führt kein Weg vorbei. Wir bleiben dabei: Bern kanns besser! Und engagieren uns weiterhin dafür, dass sich diese Einsicht durchsetzt, bevor es zu spät ist.
Würden wir heute noch wollen, dass ein PostParc oder ein Bubenbergzentrum gebaut werden? Wenn schon Bagger, dann sollten sie hier auffahren – nicht im Hirschengraben.
Kastaniel und Kastarina
«Wir sind fassungslos», geben Kastaniel und Kastarina, zwei der älteren Rosskastanienbäume am Hirschengraben, übereinstimmend zu Protokoll.
«Mehr als 80 Jahre lang haben wir brav unseren Schatten gespendet und einen grossen Teil zur Verbesserung des Klimas und der Umwelt beigetragen, und nun droht man, uns zu massakrieren.»
Die beiden haben viel erlebt in den letzten Jahrzehnten, aber dieses überraschende Todesurteil hat sie hart getroffen, da sie sich angesichts des relativ gut situierten Standorts in der Stadt sicher fühlten.
Kastarina ist vor allem von der ungerechte Berichterstattung in der lokalen Presse enttäuscht. Die wenigen Baumfreunde, die sich mit Herzblut und Engagement für sie eingesetzt haben, würden von ignoranten Journalisten als ‚Horde wilder Opponenten‘ verunglimpft. Ihre Zitate würden absichtlich übertrieben laienhaft und naiv wiedergegeben, so als wären Baumfreunde nur ein Klotz am Bein des mit Steuergeldern klotzenden Polit-Establishments, seufzt Kastarina.
«Pressefreiheit – ha … das ist missbräuchlicher Umgang mit Buchstaben und das Papier nicht wert, das man aus uns machen könnte, falls wir nicht einfach nur in Rauch aufgehen», gibt Kastaniel schon deutlich kampfgeistiger zu verstehen.
Das letzte Wort und der erste Baum sind noch nicht gefallen; Kastarina und Kastaniel haben ihre Hoffnung noch nicht aufgegeben: Solange die wilden Opponenten denHirschengraben weiterhin täglich mit ihrer Anwesenheit und ungeknicktem Optimismus beglücken, solange haben auch sie eine Stimme…
Aufgezeichnet und am 8. März 2021 auf Bund Online von Mike C. publiziert.
Die letzte Chance
Die Vorlage sei «alternativlos» behaupteten die Berner Stadtbehörden und die BefürworterInnen des «112-Millionenkredits Bahnhof Bern» unermüdlich. Man habe alles sorgfältig geprüft. Die geplanten Massnahmen seien der einzige gangbare Weg, es drohe ansonsten ein Chaos am Bubenbergplatz.
Bei einer Annahme des vorliegenden Projekts droht aber vor allem eines: Das endgültige Aus für eine Aufwertung des Bubenbergplatzes zu einem echten Bahnhofplatz. Diese städtebauliche Option wurde offenbar von den Behörden nie wirklich in Betracht gezogen…
Die Stadtplaner machten auf Minimalismus. Eine unsinnige Tunnelverlängerung aus dem Bahnhofuntergrund bis in den Hirschengraben.
Weil niemand im Ernst daran denken wollte, die architektonisch armseligen Geschäftshäuser Bubenbergplatz 8–12 (1960er/70er-Jahre) aus dem Stadtbild zu tilgen.
Der absurde Plan der SBB, die Hälfte des sogenannten Bubenbergzentrums, die ihr gehört, abzureissen und im gleichen Stil wieder aufzubauen, wurde bisher damit begründet, dass die Besitzer der anderen Hälfte (Bubenbergzentrum 8) nicht hätten verkaufen wollen. Eine erfundene Behauptung, wie wir seit heute wissen.
Fakt ist: Weder die SBB noch die Stadt haben den Besitzern je ein Kaufangebot gemacht!
Die brisante Geschichte ist im heutigen Bund nachzulesen. Bernhard Ott hat bei allen Beteiligten recherchiert. Unter dem Titel «Die verpasste Stadtreparatur» zeigt er auf, wie mangelhaft die Zusammenarbeit und Verhandlungen zwischen SBB, Stadt und den Hausbesitzern war. Kurzum: Hier wurden Verantwortungen nicht wahrgenommen und städtebauliche Chancen für die Gestaltung des Bahnhofausgangs WEST in den Wind geschlagen.
«Die ‘Bausünde‘ aus der Zeit der Hochkonjunktur avanciert zum neuen Bahnhofsportal, wenn die Stimmbevölkerung am Sonntag dem Kredit für die flankierenden Massnahem zum neuen Bahnhofausgang zustimmt», schreibt Ott in seinem Artikel.
Schräge Bauherren-Logik
Heute dominieren die Metall-Glasfassaden von zwei gesichtslosen Geschäftshäusern aus der Hochkonjunkturzeit den Bubenbergplatz. Dem Bau des Bubenbergzentrums wurde in den 1960er und 1970er Jahren eine ganze Häuserzeile «mit herrschaftlichen Wohnungen und Ladengeschäften im Parterre» geopfert, wie der damalige Bund-Wirtschaftsredaktor Hans Gerber 1994 in einer Bund-Spezialausgabe zum Bubenbergplatz schreibt.
Aus heutiger Sicht, so Gerber, «wären diese Jugendstilhäuser mit ihren Erkern und Balustraden, die fast so eindrucksvoll gewirkt haben mussten wie die stilvoll renovierten Häuser am Falkenplatz in der Vorderen Länggasse, nie abgebrochen worden um modernen Geschäftshäusern in eher konventionellem Stil, wie sie damals in allen Städten emporschossen, Platz zu machen.»
Solche Fehlentscheide, die über 60 Jahre zurückliegen sowie die daraus hervorgegangenen Bausünden, können nicht wiedergutgemacht werden. Angezeigt wäre hingegen, dass man aus Fehlern lernt – und ein nächstes Mal klüger handelt.
Leider ist das in der Stadt Bern, zumindest in Bezug auf das Bubenbergzentrum, nicht der Fall. Im Gegenteil: Mit dem geplanten Abriss und Wiederaufbau des jüngeren der beiden Geschäftshäuser, wiederholt man alte Fehler – und verpasst eine einmalige Chance, dem Bubenbergplatz auf lange Sicht seine ehemalige ikonische Ausstrahlung zurückzugeben. Zweimal denselben Fehler zu begehen ist unverzeihlich, oder – wie die Römer schon wussten – des Teufels.
Was künftig am neuen Hauptzugang zum zweitgrössten Bahnhof der Schweiz geplant ist, entspricht einer ziemlich schrägen Bauherren-Logik:
2016 kauften die SBB die westliche Hälfte des Bubenbergzentrums. Es handelt sich dabei um das jüngere der beiden Gebäude, welches 1975 von den Versicherungsgesellschaften La Suisse und der Basler gebaut wurde. Weil die SBB genau an dessen Stelle den neuen Bahnhof-Zugang planen, wollen sie nun das Gebäude abreissen und im gleichen Stil wieder hochziehen. Aus einem lapidaren Grund:
Die Kombination von künftigem SBB-Bahnhofausgang im Unter- und Erdgeschoss des Gebäudes und städtischem Fussgängertunnel als Verlängerung der unterirdischen Personenführung bis zum Hirschengraben, erfordert einen Neubau.
Die östliche, ältere Hälfte des Bubenbergzentrums (Baujahr 1962) hingegen bleibt vorläufig bestehen. Dem Vernehmen nach wollten deren Eigentümer nicht verkaufen. Damit steht man heute vor einer unglaublich absurden Situation: Eigentlich wäre eine Aufwertung dieser zentralen Adresse mit dem neuen Bahnhofzugang dringend notwendig – und im Bereich des Möglichen gewesen. Mit dem geplanten Neubau hingegen wird diese Chance verspielt und ein Zustand zementiert, der künftig wieder neue Sachzwänge schafft, statt Lösungen ermöglicht.
Den beiden unattraktiven Geschäftshäusern des heutigen Bubenbergzentrums wird eine Lebensdauer von rund 70 Jahren attestiert. Wenn nun das jüngere Gebäude bereits nach 45 Jahren abgerissen und städtebaulich der älteren Liegenschaft angepasst wird, was ist dann in 10 bis 20 Jahren zu erwarten, wenn die Lebenszeit des Bubenbergzentrums-Ost abläuft?
Nach Berner Logik wohl erneut ein Ersatzneubau, angepasst an das bestehende Nachbargebäude, usw. usf.
Kein Durchkommen am Hirschengraben
Von Seiten der Fussgängertunnel-PromotorInnen wird immer wieder behauptet, die Verbindungen zum ÖV-Netz im Hirschengraben würden einfacher und bequemer mit dem städtischen ZBB-Anschlussprojekt, weil man künftig trockenen Fusses den Bubenbergplatz unterirdisch queren und so bis in den Hirschengrabenpark gelangen könne. Und umgekehrt könne, wer von Süden her komme bereits im Hirschengraben in den Bahnhof hinuntersteigen.
Wer die Örtlichkeiten und das ÖV-Angebot am Hirschengraben kennt, weiss jedoch: Einzig die Haltestation für die stadteinwärts fahrenden Trams wären vom Tunnelausgang her direkt zu erreichen.
Für alle anderen Verbindungen, das heisst, für sämtliche Tramkurse Richtung Süden und Westen, führt der Tunnel in eine Sackgasse. Um diese Haltestellen zu erreichen, müsste man die Fahrbahn queren, was im Osten für die stadteinwärts fahrenden Busse noch gerade machbar wäre. Unmöglich ist die Situation aber definitiv für alle stadtauswärts fahrenden Tramanschlüsse.
Wer im Hirschengraben aus dem Tunnel steigt (= die grosse Mehrheit der ankommenden PendlerInnen am Morgen), muss um ein Tram Richtung Weissenbühl, Wabern, Brünnen, Bümpliz oder Fischermätteli zu erreichen, die doppelten Tramgleise im Westen des Platzes queren. Das ist schon heute ein praktisch unmögliches Unterfangen: In beide Richtungen folgt hier nämlich Tram auf Tram, so dass für FussgängerInnen kaum ein Durchkommen ist.
Zusätzlich erschwerend kommt beim «umgestalteten Hirschengraben» hinzu, dass die Randsteinkanten an den Haltestellen neu 27cm hoch sein werden. Das ist zwar gut für den barrierefreien Einstieg ins Tram, erweist sich aber fürs Queren der Haltestellen als äusserst mühsam, für Kinderwagen und gehbehinderte Menschen gar als unmöglich.
Kurzum: Der Hirschengrabentunnel wäre, schon nur durch seine Streckenführung, eine Totgeburt. Es ist nicht nachvollziehbar, wie Planer auf die Idee gekommen sind, «40 Prozent der Fussgängerströme» am Bubenbergplatz ins Abseits zu lenken und zu glauben, dass die PendlerInnen das nicht in kürzester Zeit merken und die Unterführung daher meiden werden.
Wer den Bahnhof im Westen verlässt, sei es über die Welle oder den künftigen Ausgang Bubenbergplatz, quert den Platz über den Fussgängerstreifen. Da bewegt man sich nicht nur am Tageslicht, sondern hat auch die Übersicht und kann seine Schritte rechtzeitig in die gewollte Richtung lenken.
Wie in den letzten Tagen vom Verkehrsplaner Pierre Pestalozzi und weiteren Fachleuten nachgewiesen wurde, kann das behauptete Kapazitätsproblem mit der Reduktion des Privatverkehrs um mindestens 50 Prozent und der Verbreiterung des Fussgängerstreifens nachhaltig gelöst werden.
Die Unterführung in den Hirschengraben ist nicht nur unnötig, sondern führt die Fussgängerinnen und Fussgänger ins Niemandsland. Sie landen vom Bahnhof her auf einer Verkehrsplattform, von der sie von den im Minutentakt ein- und ausfahrenden Trams ausgebremst werden.… Das kann nicht sein.
Bern kanns besser!
Neu erwachtes Interesse…
Der Hirschengraben – allzu oft in Eile durchquert, kaum wahrgenommen, verkannt und – wenn es nach den Plänen der Stadtoberen geht – demnächst zur Verkehrsinsel degradiert…
Das sei falsch und kurzsichtig, schreibt der Berner Architekt Arpad Boa in seinem klugen Plädoyer für die Erhaltung des Hirschengrabens:
«Der geplante unterirdische ZBB- und ZBBS-Bahnhofausgang beim Bubenbergzentrum in Bern für 99 Millionen Franken könnte 100 Meter kürzer sein – aus Profitgründen wird die Retailunterführung bis fast zum Trottoirrand des Bubenbergplatzes gezogen: Der Kanton zahlt, die Sparte Immobilien der SBB kassiert, die BernerInnen und die ÖV-NutzerInnen sollen die versalzene stadträumliche Suppe auslöffeln. (…)
Was heute den berechtigten Widerstand der BernerInnen und der Architektenverbände auf den Plan ruft, ist ein feines, frisch erwachtes Gespür für das Wesen und den Wert der Hirschengrabenanlage als klassischer Boulevard und als Ruheoase im betriebsamen Bahnhofperimeter. Es geht – stark vereinfacht – um einen Nutzungsstreit, um den öffentlichen Raum anlässlich der geplanten Durchkommerzialisierung des ÖV-Knotens, die jede Rücksicht oder gar Investition in ein Arrivée in Bern vermissen lässt.…»
Mit dem ÖV ins Abseits
Autobahnen sind schlecht, ÖV und Velo sind gut. Deshalb muss man erstere bekämpfen, während der öffentliche Verkehr und die Angebote für Velofahrende zu fördern sind – koste es, was es wolle. Mitunter sogar das Umsägen von 25 Bäumen im Weltkulturerbe-Sektor der Stadt Bern.… Dieses allzu einfache Weltbild prägt aktuell die RGM-Verkehrspolitik in Bern.
Erschreckend, mit welcher Sturheit viele Grüne gegenwärtig ein unnötiges und zerstörerisches Betonprojekt verteidigen, dem eine ganze Allee stattlicher Kastanienbäume geopfert werden soll. Mangels stichhaltiger Argumente predigen sie dabei mantrahaft den weiteren Ausbau des öffentlichen Verkehrs und prophezeien ziemlich faktenfern einen Pendlertsunami, wenn dereinst SBB und RBS den Bahnhof ausgebaut haben werden. Als ob mit einem Betontunnel und der Abholzung von Stadtbäumen die grosse Verkehrswende zu bewerkstelligen wäre…
Ausgerechnet die Grünen, die einst angetreten sind, für Umwelt, Natur und Nachhaltigkeit zu kämpfen, verteidigen diesen Unsinn. Vergessen die Bedeutung von Biodiversität und Ökologie, auch in der eigenen Stadt. Vergessen der Ruf nach umweltverträglicher Entwicklung und Nachhaltigkeit.
Weil es sich beim Ausbau des Berner Bahnhofs und dem in diesem Rahmen geplanten zusätzlichen FussgängerInnentunnel um ein ÖV-Projekt handelt, nickt Grün ab, winkt durch. Kritische Fragen und Einwände unerwünscht, für die verurteilten Bäume gibt’s höchstens ein paar Krokodilstränen. Mit dem ÖV ins Paradies – also Augen zu und durch.
Enttäuschend, wie sich Politikerinnen und Politiker, die Aufbruch, Engagement und Erneuerungen versprochen haben, hinter vorgeschobenen Sachzwängen verstecken und den Argumenten und Alternativvorschlägen ausgewiesener Fachleute ausweichen. Diskussion? Fehlalarm. Die unausgegorene Kredit-Vorlage wird bis zum Gehtnichtmehr schöngeredet. Wer immer noch Einwände hat, wird darauf hingewiesen, sich doch besser für die Verhinderung einer 6spurigen A1 oder ein Moratorium für Autobahnausbauten einzusetzen. Punktschluss.
So nicht, liebe Grüne. Zum Glück seid ihr nicht die einzige Partei in der Stadt, die Grün in ihrem Namen trägt. Die kleine Grünalternative Partei hat in Sachen Hirschengraben von Anfang an Farbe bekannt und sich für den Schutz der Bäume engagiert und im Komitee «Rettet den Hirschengraben» an der Erarbeitung von Alternativen mitgewirkt.
Die andere Schwesterpartei, die Grüne Freie Liste wiederum, haben ebenfalls Stärke gezeigt: Mit einem klaren Aufruf zum «konstruktiven Nein» hatte sich eine Mehrheit der Mitglieder dafür eingesetzt, den Fussgängertunnel und die Baumfällaktion am Hirschengraben mit einem NEIN in der Abstimmung vom 7. März zu verhindern.
Nur bei den «grossen» Grünen blättert langsam die Farbe ab. Schade.
Überholte Prognosen
«Modellrechnungen zufolge werden in der Abendspitze künftig über 16’000 Personen pro Stunde den Bubenbergplatz überqueren», heisst es in der Abstimmungsbotschaft zum 112-Millionenkredit, über den Bernerinnen und Berner am 7. März abstimmen werden. Deshalb brauche es zwingend eine unterirdische Erweiterung beim künftigen Bahnhofausgang Bubenbergplatz, sonst gebe es oberirdisch «kein Durchkommen mehr», tönt es von Seiten der BefürworterInnen dieser Vorlage. Oder in Worten des Stadtpräsidenten: «Ein Puff».
Diese Behauptung ist reine Panikmache:
Die genannten über 16’000 Personen pro Stunde würden – wenn überhaupt – nur während wenigen Minuten Stossverkehr pro Tag erreicht. Ansonsten war und ist es am Bubenbergplatz ruhig bis sehr ruhig – das wird sich auch in Zukunft nicht wesentlich ändern. Daher wäre der Bau des geplanten Personentunnels finanziell völlig unverhältnismässig und eine reine Geldverschwendung.
Die Annahmen, auf denen die Modelle basieren, sind ohnehin Makulatur geworden. Die seit März 2020 infolge des Lockdowns versiegten Pendlerströme erreichten seither nicht einmal ansatzweise frühere Werte. Die Statistik lässt Wachstumspropheten erbleichen. Die erhobenen Zahlen zum öffentlichen Verkehr könnten deutlicher nicht sein: Im vierten Quartal 2020 wurden in der Schweiz insgesamt 44 Prozent weniger Personenkilometer im ÖV zurückgelegt als im Jahr zuvor.
Besonders stark betroffen ist der Fernverkehr: Die SBB beklagten einen Rückgang von 50 Prozent, der Regionalverkehr schrumpfte um 40 Prozent.
Fest steht: Das ist kein momentaner Trend. Mit der zunehmenden Etablierung von Homeoffice und dem letzte Woche vom Bundesrat beschlossenen erneuten Anlauf zur Einführung von Mobility Pricing, sind die für den Bahnhof Bern in Vor-Corona-Zeiten berechneten Wachstumszahlen definitiv unbrauchbar geworden.
Dies bietet die Chance, den überflüssig gewordenen Fussgängertunnel zum Hirschengraben ersatzlos zu streichen. Weil es diesen als Notventil propagierten unterirdischen Überlaufkanal schlicht und einfach nicht braucht.
Schade, dass Politikerinnen und Politiker das nicht begreifen wollen. Stattdessen halten sie am Narrativ des unweigerlich drohenden Verkehrskollapses fest – und wollen den Tunnel inklusive Kahlschlag am Hirschengraben auf Teufel komm raus durchstieren.
Würden die Stadtoberen redlich kommunizieren, müssten sie ihre Verkehrsprognosen nach unten korrigieren. Nicht nur jene, welche die Bahnpassagiere betreffen. Dem Tunnelprojekt liegen auch enorme Wachstumsprognosen für den Auto‑, Velo- und öffentlichen Verkehr zugrunde, die für die Nach-Corona-Zeit ebenfalls angepasst werden müssten.
Immer grösser, immer teurer, immer mehr, haben ausgedient. Diese Erkenntnis ist die Voraussetzung für die von der rot-grünen Stadtregierung so oft gepriesene nachhaltige Entwicklung. Nur so kann die Stadt Bern ihre ehrgeizigen Klimaziele auch tatsächlich erreichen.
Keine Chance für eine Velostation am Hirschengraben
Die Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege schreibt in ihrem Gutachten vom September 2018 Klartext:
«Die EKD empfiehlt,
● auf eine vollständige wie auch auf eine teilweise Unterbauung im Perimeter ‘Hirschengraben’ zu verzichten;
● die Bepflanzung ist zu erhalten.
● Baumpflegerisch notwendige Ersatzpflanzungen sind gemäss dem historischen Bestand vorzunehmen.»
Damit ist die von der Stadt geplante Mega-Velostation unter dem Hirschengraben-Platz vom Tisch. Würde man denken. Ebenso der Personentunnel, denn dieser würde mitten auf einer leergeräumten Verkehrsplattform enden. FussgängerInnen müssten zwingend – in welche Richtung auch immer – die stark frequentierten Tram- und Busfahrbahnen überqueren. Beim Umsteigen auf Bus oder Tram ebenso. Kurzum: Der Tunnel würde bei der Umsetzung der heutigen Planung in eine veritable Sackgasse führen. Kurze Wege sehen anders aus.
Sinn machen würde der Tunnel einzig und allein in Kombination mit der Velostation unter dem Hirschengrabenpark. Diese war denn auch Teil des Mitwirkungsverfahrens von 2019. Aus der aktuellen Kreditvorlage wurde sie nun ausgeklammert. Aus taktischen Gründen, darf vermutet werden: Noch steht nämlich das klare Verdikt der EKD dem Veloparking im Weg. Zudem hätten die Investitionskosten für eine zweigeschossige Velostation den aktuell beantragten Kredit um mindestens 50 Millionen auf über 160 Millionen CHF verteuert.
Würden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am 7. März jedoch den von der Stadt beantragten 112-Millionenkredit durchwinken, wären damit schon mal der Zugang zur Velostation (FussgängerInnentunnel) und ihr Deckel (Abräumen und Umgestaltung des gesamten Hirschengrabens) vorfinanziert. Und ein fait accompli geschaffen.
Mit diesem dreisten Vorgehen soll das Projekt schliesslich durchgesetzt werden, obschon es in krassem Widerspruch zu allen Empfehlungen der Denkmalpflege sowie zahlreicher Fachleute, die sich seit Jahren kritisch zu diesem Vorhaben äussern, steht. Der Gemeinderat scheint nicht nur die zerstörerische Unterführung, sondern auch das umstrittene Veloparking auf Teufel komm raus durchboxen zu wollen, wie etwa dem gemeinderätlichen Vortrag an den Stadtrat betreffend Ausführungskredit zu entnehmen ist:
«Die Option einer unterirdischen Velostation im Hirschengraben (Baustein 2+) wurde zwar durchaus kritisch betrachtet, aber unter der Bedingung, dass keine gleichwertige Alternative besteht, mehrheitlich akzeptiert. (…). Aus Sicht der federführenden Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün (TVS) sind Optimierungen möglich, welche den Vorbehalten der EKD Rechnung tragen sollten.»
Fakt ist: Bisher sind keine derartigen «Optimierungen» bekannt.
Spannende Lektüre:
Das umfassende Gutachten der EKD vom 27. September 2018 – lesenswert!